Der allererste Weihnachtsbaum – 30. November

Der gl?ckliche kleine Vogel

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Der allererste Weihnachtsbaum
Hermann Löns

Der Weihnachtsmann ging durch den Wald. Er war ärgerlich. Sein weißer Spitz, der sonst immer lustig bellend vor ihm herlief, merkte das und schlich hinter seinem Herrn mit eingezogener Rute her.

Er hatte nämlich nicht mehr die rechte Freude an seiner Tätigkeit. Es war alle Jahre dasselbe. Es war kein Schwung in der Sache. Spielzeug und Eßwaren, das war auf die Dauer nichts. Die Kinder freuten sich wohl darüber, aber quieken sollten sie und jubeln und singen, so wollte er es, das taten sie aber nur selten.

Den ganzen Dezembermonat hatte der Weihnachtsmann schon darüber nachgegrübelt, was er wohl Neues erfinden könne, um einmal wieder eine rechte Weihnachtsfreude in die Kinderwelt zu bringen, eine Weihnachtsfreude, an der auch die Großen teilnehmen würden. Kostbarkeiten durften es auch nicht sein, denn er hatte soundsoviel auszugeben und mehr nicht.

So stapfte er denn auch durch den verschneiten Wald, bis er auf dem Kreuzweg war. Dort wollte er das Christkindchen treffen. Mit dem beriet er sich nämlich immer über die Verteilung der Gaben.

Schon von weitem sah er, daß das Christkindchen da war, denn ein heller Schein war dort. Das Christkindchen hatte ein langes weißes Pelzkleidchen an und lachte über das ganze Gesicht. Denn um es herum lagen große Bündel Kleeheu und Bohnenstiegen und Espen- und Weidenzweige, und daran taten sich die hungrigen Hirsche und Rehe und Hasen gütlich. Sogar für die Sauen gab es etwas: Kastanien, Eicheln und Rüben.

Der Weihnachtsmann nahm seinen Wolkenschieber ab und bot dem Christkindchen die Tageszeit. „Na, Alterchen, wie geht’s?“ fragte das Christkind. „Hast wohl schlechte Laune?“ Damit hakte es den Alten unter und ging mit ihm. Hinter ihnen trabte der kleine Spitz, aber er sah gar nicht mehr betrübt aus und hielt seinen Schwanz kühn in die Luft.

„Ja“, sagte der Weihnachtsmann, „die ganze Sache macht mir so recht keinen Spaß mehr. Liegt es am Alter oder an sonst was, ich weiß nicht. Das mit den Pfefferkuchen und den Äpfeln und Nüssen, das ist nichts mehr. Das essen sie auf, und dann ist das Fest vorbei. Man müßte etwas Neues erfinden, etwas, das nicht zum Essen und nicht zum Spielen ist, aber wobei alt und jung singt und lacht und fröhlich wird.“

Das Christkindchen nickte und machte ein nachdenkliches Gesicht; dann sagte es: „Da hast du recht, Alter, mir ist das auch schon aufgefallen. Ich habe daran auch schon gedacht, aber das ist nicht so leicht.“

„Das ist es ja gerade“, knurrte der Weihnachtsmann, „ich bin zu alt und zu dumm dazu. Ich habe schon richtiges Kopfweh vom vielen Nachdenken, und es fällt mir doch nichts Vernünftiges ein. Wenn es so weitergeht, schläft allmählich die ganze Sache ein, und es wird ein Fest wie alle anderen, von dem die Menschen dann weiter nichts haben als Faulenzen, Essen und Trinken.“

Nachdenklich gingen beide durch den weißen Winterwald, der Weihnachtsmann mit brummigem, das Christkindchen mit nachdenklichem Gesicht. Es war so still im Wald, kein Zweig rührte sich, nur wenn die Eule sich auf einen Ast setzte, fiel ein Stück Schneebehang mit halblautem Ton herab. So kamen die beiden, den Spitz hinter sich, aus dem hohen Holz auf einen alten Kahlschlag, auf dem große und kleine Tannen standen. Das sah wunderschön aus. Der Mond schien hell und klar, alle Sterne leuchteten, der Schnee sah aus wie Silber, und die Tannen standen darin, schwarz und weiß, daß es eine Pracht war. Eine fünf Fuß hohe Tanne, die allein im Vordergrund stand, sah besonders reizend aus. Sie war regelmäßig gewachsen, hatte auf jedem Zweig einen Schneestreifen, an den Zweigspitzen kleine Eiszapfen, und glitzerte und flimmerte nur so im Mondenschein.

Das Christkindchen ließ den Arm des Weihnachtsmannes los, stieß den Alten an, zeigte auf die Tanne und sagte: „Ist das nicht wunderhübsch?“

„Ja“, sagte der Alte, „aber was hilft mir das ?“

„Gib ein paar Äpfel her“, sagte das Christkindchen, „ich habe einen Gedanken.“

Der Weihnachtsmann machte ein dummes Gesicht, denn er konnte es sich nicht recht vorstellen, daß das Christkind bei der Kälte Appetit auf die eiskalten Äpfel hatte. Er hatte zwar noch einen guten alten Schnaps, aber den mochte er dem Christkindchen nicht anbieten.

Er machte sein Tragband ab, stellte seine riesige Kiepe in den Schnee, kramte darin herum und langte ein paar recht schöne Äpfel heraus. Dann faßte er in die Tasche, holte sein Messer heraus, wetzte es an einem Buchenstamm und reichte es dem Christkindchen.

„Sieh, wie schlau du bist“, sagte das Christkindchen. „Nun schneid mal etwas Bindfaden in zwei Finger lange Stücke, und mach mir kleine Pflöckchen.“

Dem Alten kam das alles etwas ulkig vor, aber er sagte nichts und tat, was das Christkind ihm sagte. Als er die Bindfadenenden und die Pflöckchen fertig hatte, nahm das Christkind einen Apfel, steckte ein Pflöckchen hinein, band den Faden daran und hängte den an einen Ast.

„So“, sagte es dann, „nun müssen auch an die anderen welche, und dabei kannst du helfen, aber vorsichtig, daß kein Schnee abfällt!“

Der Alte half, obgleich er nicht wußte, warum. Aber es machte ihm schließlich Spaß, und als die ganze kleine Tanne voll von rotbäckigen Äpfeln hing, da trat er fünf Schritte zurück, lachte und sagte; „Kiek, wie niedlich das aussieht! Aber was hat das alles für’n Zweck?“

„Braucht denn alles gleich einen Zweck zu haben?“ lachte das Christkind. „Paß auf, das wird noch schöner. Nun gib mal Nüsse her!“

Der Alte krabbelte aus seiner Kiepe Walnüsse heraus und gab sie dem Christkindchen. Das steckte in jedes ein Hölzchen, machte einen Faden daran, rieb immer eine Nuß an der goldenen Oberseite seiner Flügel, dann war die Nuß golden, und die nächste an der silbernen Unterseite seiner Flügel, dann hatte es eine silberne Nuß und hängte sie zwischen die Äpfel.

„Was sagst nun, Alterchen?“ fragte es dann. „Ist das nicht allerliebst?“

„Ja“, sagte der, „aber ich weiß immer noch nicht…“

„Komm schon!“ lachte das Christkindchen. „Hast du Lichter?“

„Lichter nicht“, meinte der Weihnachtsmann, „aber ’nen Wachsstock!“

„Das ist fein“, sagte das Christkind, nahm den Wachsstock, zerschnitt ihn und drehte erst ein Stück um den Mitteltrieb des Bäumchens und die anderen Stücke um die Zweigenden, bog sie hübsch gerade und sagte dann; „Feuerzeug hast du doch?“

„Gewiß“, sagte der Alte, holte Stein, Stahl und Schwammdose heraus, pinkte Feuer aus dem Stein, ließ den Zunder in der Schwammdose zum Glimmen kommen und steckte daran ein paar Schwefelspäne an. Die gab er dem Christkindchen. Das nahm einen hellbrennenden Schwefelspan und steckte damit erst das oberste Licht an, dann das nächste davon rechts, dann das gegenüberliegende. Und rund um das Bäumchen gehend, brachte es so ein Licht nach dem andern zum Brennen.

Da stand nun das Bäumchen im Schnee; aus seinem halbverschneiten, dunklen Gezweig sahen die roten Backen der Äpfel, die Gold- und Silbernüsse blitzten und funkelten, und die gelben Wachskerzen brannten feierlich. Das Christkindchen lachte über das ganze rosige Gesicht und patschte in die Hände, der alte Weihnachtsmann sah gar nicht mehr so brummig aus, und der kleine Spitz sprang hin und her und bellte.

Als die Lichter ein wenig heruntergebrannt waren, wehte das Christkindchen mit seinen goldsilbernen Flügeln, und da gingen die Lichter aus. Es sagte dem Weihnachtsmann, er solle das Bäumchen vorsichtig absägen. Das tat der, und dann gingen beide den Berg hinab und nahmen das bunte Bäumchen mit.

Als sie in den Ort kamen, schlief schon alles. Beim kleinsten Hause machten die beiden halt. Das Christkindchen machte leise die Tür auf und trat ein; der Weihnachtsmann ging hinterher. In der Stube stand ein dreibeiniger Schemel mit einer durchlochten Platte. Den stellten sie auf den Tisch und steckten den Baum hinein. Der Weihnachtsmann legte dann noch allerlei schöne Dinge, Spielzeug, Kuchen, Äpfel und Nüsse unter den Baum, und dann verließen beide das Haus so leise, wie sie es betreten hatten.

Als der Mann, dem das Häuschen gehörte, am andern Morgen erwachte und den bunten Baum sah, da staunte er und wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Als er aber an dem Türpfosten, den des Christkinds Flügel gestreift hatte, Gold- und Silberflimmer hängen sah, da wußte er Bescheid. Er steckte die Lichter an dem Bäumchen an und weckte Frau und Kinder. Das war eine Freude in dem kleinen Haus wie an keinem Weihnachtstag. Keines von den Kindern sah nach dem Spielzeug, nach dem Kuchen und den Äpfeln, sie sahen nur alle nach dem Lichterbaum. Sie faßten sich an den Händen, tanzten um den Baum und sangen alle Weihnachtslieder, die sie wußten, und selbst das Kleinste, das noch auf dem Arm getragen wurde, krähte, was es krähen konnte.

Als es hellichter Tag geworden war, da kamen die Freunde und Verwandten des Bergmanns, sahen sich das Bäumchen an, freuten sich darüber und gingen gleich in den Wald, um sich für ihre Kinder auch ein Weihnachtsbäumchen zu holen. Die anderen Leute, die das sahen, machten es nach, jeder holte sich einen Tannenbaum und putzte ihn an, der eine so, der andere so, aber Lichter, Äpfel und Nüsse hängten sie alle daran.

Als es dann Abend wurde, brannte im ganzen Dorf Haus bei Haus ein Weihnachtsbaum, überall hörte man Weihnachtslieder und das Jubeln und Lachen der Kinder.

Von da aus ist der Weihnachtsbaum über ganz Deutschland gewandert und von da über die ganze Erde. Weil aber der erste Weihnachtsbaum am Morgen brannte, so wird in manchen Gegenden den Kindern morgens beschert.

Kristanella und das Wintergewitter – 29. November

Kristanella und das Wintergewitter

von Elke Bräunling

Der Schneekönig ist ein glücklicher König. Zwölf Töchter und zwölf Söhne hat er. Das sind die Schneeprinzessinnen und Schneeprinzen. Der Schneekönig liebt seine Kinder über alles, und manchmal verwöhnt er sie ein bisschen zu sehr.
„Lieber zu viel als zu wenig“, sagt er dann und lacht. „Ich habe sie doch so lieb, meine kleinen Prinzessinnen und Prinzen!“
Sein Lieblingskind aber ist seine jüngste Tochter, die Schneeprinzessin Kristanella. Er verwöhnt sie auch am meisten. „Sie ist noch so klein“, sagt er und nimmt Kristanella in seine Eisarme. „Und wie schön sie ist! Glitzerfunkelschön.“
Ja, der Schneekönig ist sehr stolz auf seine schöne, jüngste Tochter.
Einmal aber, vor vielen Jahren, war er gar nicht stolz auf sie, sondern sehr wütend. Es war das Jahr, in dem Kristanella zur rechten Schneeprinzessin werden und zum ersten Mal auf die Erde reisen sollte.
Die Kinder des Schneekönigs müssen nämlich auch arbeiten. Im Winter, wenn die Schneeflocken ihren Weg auf die Erde suchen. Da sind sie es, die den Flockengeistern den weiten Weg zur Erde zeigen und sie in Städte und Dörfer, auf Wiesen und Felder, in Täler, Wälder und auf Berge führen. Das ist ein hartes Stück Arbeit, und die Schneeprinzessinnen und Schneeprinzen haben viel zu tun. Nur Kristanella hatte lange Zeit keine Lust, mit ihrer Arbeit zu beginnen. Sie tanzte lieber mit den Flockengeistern über den Schneewolkenhimmel und sang mit kristallheller Stimme ihre Lieder.
„Lasst sie doch“, hatte der Schneekönig gesagt, wenn sich die Geschwister über Kristanella beschwerten. „Sie ist noch so jung. Und ihre Stimme! Ach, wie ich ihre Stimme liebe!“
„Aber sie ist faul“, riefen die Geschwister empört.
„Im nächsten Jahr wird sie mit ihrer Arbeit beginnen“, versprach der Schneekönig.
Das versprach er jedes Jahr, aber dann brachte er es doch nicht übers Herz, Kristanella zur Erde hinunter zu schicken.
Eines Tages aber war es soweit. „Dieses Jahr musst du auch arbeiten“, sagte er mit strenger Stimme zu Kristanella. „Es ist an der Zeit, dass eine rechte Schneeprinzessin aus dir wird.“
„Aber ich bin doch eine rechte Schneeprinzessin“, maulte Kristanella. „Ich möchte lieber mit meinen Flockengeistern über den Himmel toben. Das macht so viel Spaß! Ach, bitte, Vater. Lasst mich bleiben.“
Kristanella schmeichelte und schmeichelte, doch dieses Mal blieb der Schneekönig hart.
Er zeigte auf ein kleines Land mit hohen Bergen und weiten Wiesen. „Dort unten liegt dein Schneeland. Ich wünsche, dass es in diesem Winter prächtig weiß und tief verschneit ist.“
„Aber, ich …“, begann Kristanella, doch der Schneekönig ließ sie nicht aussprechen.
„Du gehst zur Erde und tust deine Pflicht. Basta!“ Und er schickte besonders viele Flockengeister mit den schönsten Schneeflocken und Eiskristallen zu Kristanella.
Die aber war wütend. „Keines meiner Flockengeister werde ich den Erdbewohnern schenken. Sie gehören mir ganz alleine.“ Sie lachte hell auf und tanzte mit ihren Flockengeistern über den Schneewolken. Sie tanzte und lachte und sang und freute sich. Schön war das Leben!
Der Schneekönig aber war wütend. Frostklirrewütend. Wenn er auf das kleine Land mit den welken Wiesen und kahlen Felsbergen sah, packte ihn der Ärger. Wo blieb Kristanella mit ihren Flockengeistern? Wo blieb der Schnee?
Das fragten sich auch die Kinder in dem kleinen Land.
„Warum schneit es dieses Jahr nicht?“, riefen sie traurig. „Wo bleibt der Schnee?“
Kristanella aber machte nur eine lange Nase, lachte, sang ihre Lieder und tanzte über den Himmel.
„Kristanella!“, rief der Schneekönig. „Tu deine Pflicht!“
„Pflicht? Hihihiiiii …“, gab Kristanella zur Antwort.
„Hihihiiiii ….“, kicherten auch die Flockengeister. „Schneien, hihi, das tun wir nie-ie-ie!“
Da brüllte der Schneekönig auf einmal los. So donnernd und laut, wie er noch nie in seinem Leben gebrüllt hatte. Der ganze Himmel zuckte zusammen, die Wolken bäumten sich auf und Blitze fuhren zischend zur Erde herab. Es donnerte und blitzte und dröhnte. Und der Schneekönig brüllte mit dröhnender Stimme:
„Kri-sta-nel-la! Kri-sta-nel-la! Auf zur Erde, dass es werde hell und heller, schneeweiß klar. Kri-sta-nel-la! Kri-sta-nel-la! Auf die Reise! Sei so weise, schnell und schneller, bist du da!“
Ein besonders heller Blitz zuckte auf, und Kristanella sah in seinem Licht das wütende Gesicht ihres Vaters. So wütend hatte sie ihn noch nie gesehen.
„Er scheint böse zu sein“, wisperte sie erschrocken.
Angst hatten auch die Menschen auf der Erde.
„Ein Wintergewitter“, sagten die Erwachsenen.
„Vielleicht schneit es endlich“, hofften die Kinder und klammerten sich ängstlich an ihre Eltern.
Auch Kristanella hatte auf einmal genauso viel Angst wie die Kinder und sie rief eilig ihre Flockengeister herbei. „Auf, auf, lasst uns zur Erde ziehen!“
Und schon wirbelten die ersten Schneeflocken vom Himmel.
„Es schneit!“, riefen die Kinder. „Juchhu! Es schneit!“ Und fröhlich rannten sie in das Schneeflockengestöber hinaus.
Zufrieden sah der Schneekönig zur Erde hinab.
„Na also“, brummte er, und es klang wie ein leises, fernes Donnergrollen. „Wozu ein Gewitter doch manchmal gut ist.“ Er lächelte und zog sich auf seinen Thron zurück.
Kristanella aber lächelte nicht. Traurig nahm sie von ihren Flockengeistern Abschied.
Als sie aber sah, wie sich die Kinder über ihren Schnee freuten, war sie getröstet. Und, ehrlich, schön sah das kleine Land im weißen Schneekleid aus. Stolz begutachtete Kristanella ihr Werk. Und hatten nicht die Flockengeister zum Abschied „Wir-sehen-uns-im-nächsten-Winter-wieder?“, gerufen? Wenn das stimmte …!?
Kristanella war nicht länger traurig. Fröhlich blickte sie über das kleine Schneeland und sang mit heller, kristallklarer Stimme: „Im nächsten Winter sehn wir uns wieder, ihr Flockengeister, und ich singe euch Lieder …“
Sie sang und sang, ja, und das tut sie seither jeden Winter.
Man kann sie hören, manchmal, an einem besonders hellen Wintertag, wenn die Sonne scheint und Schneesterne funkeln. Psst! Leise! Ohren spitzen!