Der Tannenbaum Teil 3 – 9. Dezember

Heilig Abend 015

Der Tannenbaum
Teil III

von Hans Christian Andersen

„Nun ist es Winter draußen!“ dachte der Baum. Die Erde ist hart und mit Schnee bedeckt, die Menschen können mich nicht pflanzen; deshalb soll ich wohl bis zum Frühjahr hier im Schutz stehen! Wie wohlbedacht ist das! Wie die Menschen doch so gut sind! Wäre es hier nur nicht so dunkel und schrecklich einsam! Nicht einmal ein kleiner Hase! Das war doch niedlich da draußen im Walde, wenn der Schnee lag und der Hase vorbeisprang, ja selbst als er über mich hinwegsprang; aber damals mochte ich es nicht leiden. Hier oben ist es doch schrecklich einsam!“

„Piep, piep!“ sagte da eine kleine Maus und huschte hervor; und dann kam noch eine kleine. Sie beschnüffelten den Tannenbaum, und dann schlüpften sie zwischen seine Zweige.

„Es ist eine greuliche Kälte!“ sagten die kleinen Mäuse. „Sonst ist hier gut sein; nicht wahr, du alter Tannenbaum?“ „Ich bin gar nicht alt!“ sagte der Tannenbaum; „es gibt viele, die weit älter sind denn ich!“

„Woher kommst du?“ fragten die Mäuse, „und was weißt du?“ Sie waren gewaltig neugierig. „Erzähle uns doch von den schönsten Orten auf Erden! Bist du dort gewesen? Bist du in der Speisekammer gewesen, wo Käse auf den Brettern liegen und Schinken unter der Decke hängen, wo man auf Talglicht tanzt, mager hineingeht und fett herauskommt?“ „Das kenne ich nicht“, sagte der Baum; „aber den Wald kenne ich, wo die Sonne scheint und die Vögel singen!“ Und dann erzählte er alles aus seiner Jugend. Die kleinen Mäuse hatten früher nie dergleichen gehört, sie horchten auf und sagten: „Wieviel du gesehen hast! Wie glücklich du gewesen bist!“

„Ich?“ sagte der Tannenbaum und dachte über das, was er selbst erzählte, nach. „Ja, es waren im Grunde ganz fröhliche Zeiten!“ Aber dann erzählte er vom Weihnachtsabend, wo er mit Zuckerwerk und Lichtern geschmückt war. „Oh“, sagten die kleinen Mäuse, „wie glücklich du gewesen bist, du alter Tannenbaum!“

„Ich bin gar nicht alt!“ sagte der Baum; „erst in diesem Winter bin ich aus dem Walde gekommen! Ich bin in meinem allerbesten Alter, ich bin nur so aufgeschossen.“

„Wie schön du erzählst!“ sagten die kleinen Mäuse, und in der nächsten Nacht kamen sie mit vier anderen kleinen Mäusen, die den Baum erzählen hören sollten, und je mehr er erzählte, desto deutlicher erinnerte er sich selbst an alles und dachte: Es waren doch ganz fröhliche Zeiten! Aber sie können wiederkommen, können wiederkommen! Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinunter und bekam doch die Prinzessin; vielleicht kann ich auch eine Prinzessin bekommen.“ Und dann dachte der Tannenbaum an eine kleine, niedliche Birke, die draußen im Walde wuchs; das war für den Tannenbaum eine wirkliche, schöne Prinzessin.

„Wer ist Klumpe-Dumpe?“ fragten die kleinen Mäuse. Da erzählte der Tannenbaum das ganze Märchen, er konnte sich jedes einzelnen Wortes entsinnen; die kleinen Mäuse sprangen aus reiner Freude bis an die Spitze des Baumes. In der folgenden Nacht kamen weit mehr Mäuse und am Sonntage sogar zwei Ratten, aber die meinten, die Geschichte sei nicht hübsch, und das betrübte die kleinen Mäuse, denn nun hielten sie auch weniger davon.

„Wissen Sie nur die eine Geschichte?“ fragten die Ratten.

„Nur die eine“, antwortete der Baum; „die hörte ich an meinem glücklichsten Abend, aber damals dachte ich nicht daran, wie glücklich ich war.“

„Das ist eine höchst jämmerliche Geschichte! Kennen Sie keine von Speck und Talglicht? Keine Speisekammergeschichte?“

„Nein!“ sagte der Baum.“ – „Ja, dann danken wir dafür!“ erwiderten die Ratten und gingen zu den Ihrigen zurück.

Die kleinen Mäuse blieben zuletzt auch weg, und da seufzte der Baum: „Es war doch ganz hübsch, als sie um mich herumsaßen, die beweglichen kleinen Mäuse, und zuhörten, wie ich erzählte! Nun ist auch das vorbei! Aber ich werde gerne daran denken, wenn ich wieder hervorgenommen werde.“

Aber wann geschah das? Ja, es war eines Morgens, da kamen Leute und wirtschafteten auf dem Boden; die Kasten wurden weggesetzt, der Baum wurde hervorgezogen; sie warfen ihn freilich ziemlich hart gegen den Fußboden, aber ein Diener schleppte ihn gleich nach der Treppe hin, wo der Tag leuchtete.

„Nun beginnt das Leben wieder!“ dachte der Baum; er fühlte die frische Luft, die ersten Sonnenstrahlen, und nun war er draußen im Hofe. Alles ging geschwind, der Baum vergaß völlig, sich selbst zu betrachten, da war so vieles ringsumher zu sehen. Der Hof stieß an einen Garten, und alles blühte darin; die Rosen hingen frisch und duftend über das kleine Gitter hinaus, die Lindenbäume blühten, und die Schwalben flogen umher und sagten: „Quirrevirrevit, mein Mann ist kommen!“ Aber es war nicht der Tannenbaum, den sie meinten.

„Nun werde ich leben!“ jubelte der und breitete seine Zweige weit aus; aber ach, die waren alle vertrocknet und gelb; und er lag da zwischen Unkraut und Nesseln. Der Stern von Goldpapier saß noch oben in der Spitze und glänzte im hellen Sonnenschein.

Im Hofe selbst spielten ein paar der munteren Kinder, die zur Weihnachtszeit den Baum umtanzt hatten und so froh über ihn gewesen waren. Eins der kleinsten lief hin und riß den Goldstern ab.

„Sieh, was da noch an dem häßlichen, alten Tannenbaum sitzt!“ sagte es und trat auf die Zweige, so daß sie unter seinen Stiefeln knackten.

Der Baum sah auf all die Blumenpracht und Frische im Garten, er betrachtete sich selbst und wünschte, daß er in seinem dunklen Winkel auf dem Boden geblieben wäre; er gedachte seiner frischen Jugend im Walde, des lustigen Weihnachtsabends und der kleinen Mäuse, die so munter die Geschichte von Klumpe- Dumpe angehört hatten. „Vorbei, vorbei!“ sagte der arme Baum. „Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei, vorbei!“

Der Diener kam und hieb den Baum in kleine Stücke, ein ganzes Bund lag da; hell flackerte es auf unter dem großen Braukessel. Der Baum seufzte tief, und jeder Seufzer war einem kleinen Schusse gleich; deshalb liefen die Kinder, die da spielten, herbei und setzten sich vor das Feuer, blickten hinein und riefen: „Piff, paff!“ Aber bei jedem Knalle, der ein tiefer Seufzer war, dachte der Baum an einen Sommerabend im Walde oder an eine Winternacht da draußen, wenn die Sterne funkelten; er dachte an den Weihnachtsabend und an Klumpe-Dumpe, das einzige Märchen, das er gehört hatte und zu erzählen wußte – und dann war der Baum verbrannt.

Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste hatte den Goldstern auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen hatte. Nun war der vorbei, und mit dem Baum war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei.

Und so geht es mit allen Geschichten.

Der Tannenbaum Teil 2 – 8. Dezember

Der Tannenbaum Teil II
von Hans Christian Andersen

„Oh“ dachte der Baum, „wäre es doch Abend! Würden nur die Lichter bald angezündet! Und was dann wohl geschieht? Ob da wohl Bäume aus dem Walde kommen, mich zu sehen? Ob die Meisen gegen die Fensterscheiben fliegen? Ob ich hier festwachse und Winter und Sommer geschmückt stehen werde?“

Ja, er wußte gut Bescheid; aber er hatte ordentlich Borkenschmerzen vor lauter Sehnsucht, und Borkenschmerzen sind für einen Baum ebenso schlimm wie Kopfschmerzen für uns andere.

Nun wurden die Lichter angezündet. Welcher Glanz, welche Pracht! Der Baum bebte in allen Zweigen dabei, so daß eins der Lichter das Grüne anbrannte; es sengte ordentlich.

„Gott bewahre uns!“ schrien die Fräulein und löschten es hastig aus.

Nun durfte der Baum nicht einmal beben. Oh, das war ein Grauen! Ihm war bange, etwas von seinem Staate zu verlieren; er war ganz betäubt von all dem Glanze. Da gingen beide Flügeltüren auf, und eine Menge Kinder stürzte herein, als wollten sie den ganzen Baum umwerfen, die älteren Leute kamen bedächtig nach; die Kleinen standen ganz stumm, aber nur einen Augenblick, dann jubelten sie wieder, daß es laut schallte; sie tanzten um den Baum herum, und ein Geschenk nach dem andern wurde abgepflückt und verteilt.

„Was machen sie?“ dachte der Baum. Was soll geschehen?“ Die Lichter brannten gerade bis auf die Zweige herunter, und je nachdem sie niederbrannten, wurden sie ausgelöscht, und dann erhielten die Kinder die Erlaubnis, den Baum zu plündern. Sie stürzten auf ihn zu, daß es in allen Zweigen knackte; wäre er nicht mit der Spitze und mit dem Goldstern an der Decke festgemacht gewesen, so wäre er umgefallen.

Die Kinder tanzten mit ihrem prächtigen Spielzeug herum, niemand sah nach dem Baume, ausgenommen das alte Kindermädchen, das zwischen die Zweige blickte; aber es geschah nur, um zu sehen, ob nicht noch eine Feige oder ein Apfel vergessen sei.

„Eine Geschichte, eine Geschichte!“ riefen die Kinder und zogen einen kleinen, dicken Mann gegen den Baum hin, und er setzte sich gerade unter ihn, „denn so sind wir im Grünen“, sagte er, „und der Baum kann besonders Nutzen davon haben, zuzuhören! Aber ich erzähle nur eine Geschichte. Wollt ihr die von Ivede- Avede oder die von Klumpe-Dumpe hören, der die Treppen hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin bekam?“

„lvede-Avede!“ schrien einige, „Klumpe-Dumpe!“ schrien andere. Das war ein Rufen! Nur der Tannenbaum schwieg ganz still und dachte: Komme ich gar nicht mit, werde ich nichts dabei zu tun haben?“ Er hatte ja geleistet, was er sollte.

Der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, der die Treppen hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin bekam. Und die Kinder klatschten in die Hände und riefen: „Erzähle, erzähle!“ Sie wollten auch die Geschichte von Ivede-Avede hören, aber sie bekamen nur die von Klumpe-Dumpe. Der Tannenbaum stand ganz stumm und gedankenvoll, nie hatten die Vögel im Walde dergleichen erzählt. Klumpe-Dumpe fiel die Treppen hinunter und bekam doch die Prinzessin! Ja, ja, so geht es in der Welt zu!“ dachte der Tannenbaum und glaubte, daß es wahr sei, weil ein so netter Mann es erzählt hatte. „Ja, ja! Vielleicht falle ich auch die Treppe hinunter und bekomme eine Prinzessin!“ Und er freute sich, den nächsten Tag wieder mit Lichtern und Spielzeug, Gold und Früchten und dem Stern von Flittergold aufgeputzt zu werden. „Morgen werde ich nicht zittern!“ dachte er. ich will mich recht aller meiner Herrlichkeit freuen. Morgen werde ich wieder die Geschichte von Klumpe-Dumpe und vielleicht auch die von Ivede-Avede hören.“ Und der Baum stand die ganze Nacht still und gedankenvoll.

Am Morgen kamen die Diener und das Mädchen herein.

„Nun beginnt der Staat aufs neue!“ dachte der Baum; aber sie schleppten ihn zum Zimmer hinaus, die Treppe hinauf, auf den Boden und stellten ihn in einen dunklen Winkel, wohin kein Tageslicht schien. „Was soll das bedeuten?“ dachte der Baum. „Was soll ich hier wohl machen? Was mag ich hier wohl hören sollen?“ Er lehnte sich gegen die Mauer und dachte und dachte. Und er hatte Zeit genug, denn es vergingen Tage und Nächte; niemand kam herauf, und als endlich jemand kam, so geschah es, um einige große Kasten in den Winkel zu stellen; der Baum stand ganz versteckt, man mußte glauben, daß er ganz vergessen war.

Der Tannenbaum Teil 1 – 7. Dezember

Christbaum

Der Tannenbaum Teil I
von Hans Christian Andersen

Draußen im Walde stand ein niedlicher, kleiner Tannenbaum; er hatte einen guten Platz, Sonne konnte er bekommen, Luft war genug da, und ringsumher wuchsen viel größere Kameraden, sowohl Tannen als Fichten. Aber dem kleinen Tannenbaum schien nichts so wichtig wie das Wachsen; er achtete nicht der warmen Sonne und der frischen Luft, er kümmerte sich nicht um die Bauernkinder, die da gingen und plauderten, wenn sie herausgekommen waren, um Erdbeeren und Himbeeren zu sammeln. Oft kamen sie mit einem ganzen Topf voll oder hatten Erdbeeren auf einen Strohhalm gezogen, dann setzten sie sich neben den kleinen Tannenbaum und sagten: „Wie niedlich klein ist der!“ Das mochte der Baum gar nicht hören.

Im folgenden Jahre war er ein langes Glied größer, und das Jahr darauf war er um noch eins länger, denn bei den Tannenbäumen kann man immer an den vielen Gliedern, die sie haben, sehen, wie viele Jahre sie gewachsen sind.

„Oh, wäre ich doch so ein großer Baum wie die anderen!“ seufzte das kleine Bäumchen. „Dann könnte ich meine Zweige so weit umher ausbreiten und mit der Krone in die Welt hinausblicken! Die Vögel würden dann Nester zwischen meinen Zweigen bauen, und wenn der Wind weht, könnte ich so vornehm nicken, gerade wie die andern dort!“

Er hatte gar keine Freude am Sonnenschein, an den Vögeln und den roten Wolken, die morgens und abends über ihn hinsegelten.

War es nun Winter und der Schnee lag ringsumher funkelnd weiß, so kam häufig ein Hase angesprungen und setzte gerade über den kleinen Baum weg. Oh, das war ärgerlich! Aber zwei Winter vergingen, und im dritten war das Bäumchen so groß, daß der Hase um es herumlaufen mußte. „Oh, wachsen, wachsen, groß und alt werden, das ist doch das einzige Schöne in dieser Welt!“ dachte der Baum.

Im Herbst kamen immer Holzhauer und fällten einige der größten Bäume; das geschah jedes Jahr, und dem jungen Tannenbaum, der nun ganz gut gewachsen war, schauderte dabei; denn die großen, prächtigen Bäume fielen mit Knacken und Krachen zur Erde, die Zweige wurden abgehauen, die Bäume sahen ganz nackt, lang und schmal aus; sie waren fast nicht zu erkennen. Aber dann wurden sie auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie davon, aus dem Walde hinaus.

Wohin sollten sie? Was stand ihnen bevor?

Im Frühjahr, als die Schwalben und Störche kamen, fragte sie der Baum: „Wißt ihr nicht, wohin sie geführt wurden? Seid ihr ihnen begegnet?“

Die Schwalben wußten nichts, aber der Storch sah nachdenkend aus, nickte mit dem Kopfe und sagte: „Ja, ich glaube wohl; mir begegneten viele neue Schiffe, als ich aus Ägypten flog; auf den Schiffen waren prächtige Mastbäume; ich darf annehmen, daß sie es waren, sie hatten Tannengeruch; ich kann vielmals von ihnen grüßen, sie sind schön und stolz!“ „Oh, wäre ich doch auch groß genug, um über das Meer hinfahren zu können! Was ist das eigentlich, dieses Meer, und wie sieht es aus?“

„Ja, das ist viel zu weitläufig zu erklären!“ sagte der Storch, und damit ging er.

„Freue dich deiner Jugend!“ sagten die Sonnenstrahlen; „freue dich deines frischen Wachstums, des jungen Lebens, das in dir ist!“

Und der Wind küsste den Baum, und der Tau weinte Tränen über ihn, aber das verstand der Tannenbaum nicht. Wenn es gegen die Weihnachtszeit war, wurden ganz junge Bäume gefällt, Bäume, die oft nicht einmal so groß oder gleichen Alters mit diesem Tannenbaume waren, der weder Rast noch Ruhe hatte, sondern immer davon wollte; diese jungen Bäume, und es waren gerade die allerschönsten, behielten immer alle ihre Zweige; sie wurden auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie zum Walde hinaus.

„Wohin sollen diese?“ fragte der Tannenbaum. „Sie sind nicht größer als ich, einer ist sogar viel kleiner; weswegen behalten sie alle ihre Zweige? Wohin fahren sie?“

„Das wissen wir! Das wissen wir!“ zwitscherten die Meisen. „Unten in der Stadt haben wir in die Fenster gesehen! Wir wissen, wohin sie fahren! Oh, sie gelangen zur größten Pracht und Herrlichkeit, die man sich denken kann! Wir haben in die Fenster gesehen und erblickt, daß sie mitten in der warmen Stube aufgepflanzt und mit den schönsten Sachen, vergoldeten Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug, und vielen hundert Lichtern geschmückt werden.“

Und dann?“ fragte der Tannenbaum und bebte in allen Zweigen. „Und dann? Was geschieht dann?“ „Ja, mehr haben wir nicht gesehen! Das war unvergleichlich schön!“ „Ob ich wohl bestimmt bin, diesen strahlenden Weg zu betreten?“ jubelte der Tannenbaum. Das ist noch besser als über das Meer zu ziehen! Wie leide ich an Sehnsucht! Wäre es doch Weihnachten! Nun bin ich hoch und entfaltet wie die andern, die im vorigen Jahre davongeführt wurden! Oh, wäre ich erst auf dem Wagen, wäre ich doch in der warmen Stube mit all der Pracht und Herrlichkeit! Und dann? ja, dann kommt noch etwas Besseres, noch Schöneres, warum würden sie mich sonst so schmücken? Es muß noch etwas Größeres, Herrlicheres kommen! Aber was?

Oh, ich leide, ich sehne mich, ich weiß selbst nicht, wie mir ist!“ „Freue dich unser!“ sagten die Luft und das Sonnenlicht; „freue dich deiner frischen Jugend im Freien!“ Aber er freute sich durchaus nicht; er wuchs und wuchs, Winter und Sommer stand er grün; dunkelgrün stand er da, die Leute, die ihn sahen, sagten: „Das ist ein schöner Baum!“ und zur Weihnachtszeit wurde er von allen zuerst gefällt. Die Axt hieb tief durch das Mark; der Baum fiel mit einem Seufzer zu Boden, er fühlte einen Schmerz, eine Ohnmacht, er konnte gar nicht an irgendein Glück denken, er war betrübt, von der Heimat scheiden zu müssen, von dem Flecke, auf dem er empor geschossen war; er wußte ja, daß er die lieben, alten Kameraden, die kleinen Büsche und Blumen ringsumher nie mehr sehen werde, ja vielleicht nicht einmal die Vögel.

Die Abreise hatte durchaus nichts Behagliches. Der Baum kam erst wieder zu sich selbst, als er im Hofe mit andern Bäumen abgeladen wurde und einen Mann sagen hörte: „Dieser hier ist prächtig! Wir wollen nur den!“ Nun kamen zwei Diener im vollen Staat und trugen den Tannenbaum in einen großen, schönen Saal. Ringsherum an den Wänden hingen Bilder, und bei dem großen Kachelofen standen große chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln; da waren Wiegestühle, seidene Sofas, große Tische voll von Bilderbüchern und Spielzeug für hundertmal hundert Taler; wenigstens sagten das die Kinder. Der Tannenbaum wurde in ein großes, mit Sand gefälltes Faß gestellt, aber niemand konnte sehen, daß es ein Faß war, denn es wurde rundherum mit grünem Zeug behängt und stand auf einem großen, bunten Teppich. oh, wie der Baum bebte! Was würde da wohl vorgehen? Sowohl die Diener als die Fräulein schmückten ihn. An einen Zweig hängten sie kleine, aus farbigem Papier ausgeschnittene Netze, und jedes Netz war mit Zuckerwerk gefüllt. Vergoldete Apfel und Walnüsse hingen herab, als wären sie festgewachsen, und über hundert rote, blaue und weiße kleine Lichter wurden in den Zweigen festgesteckt. Puppen, die leibhaft wie die Menschen aussahen – der Baum hatte früher nie solche gesehen -, schwebten im Grünen, und hoch oben in der Spitze wurde ein Stern von Flittergold befestigt. Das war prächtig, ganz außerordentlich prächtig! „Heute abend“, sagten alle, „heute abend wird er strahlen!“ und sie waren außer sich vor Freude.

Knecht Rupprecht – 6. Dezember

Alle Jahre wieder weils so schön ist an Nikolaus. Der Knecht Ruprecht hat ja hier in Franken seine Entsprechung als Pelzmärtel der allerdings schon am 11.11. die Kinder beschert.


Weihnachtsmotive 071wz

Knecht Ruprecht
Theodor Storm

Ruprecht:

Habt guten Abend, alt und jung,
Bin allen wohl bekannt genung.

Von drauß‘ vom Walde komm ich her;
Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
Sah ich goldene Lichtlein sitzen;
Und droben aus dem Himmelstor
Sah mit großen Augen das Christkind hervor;
Und wie ich so strolcht‘ durch den finstern Tann,
Da rief’s mich mit heller Stimme an:
»Knecht Ruprecht«, rief es, »alter Gesell,
Hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
Das Himmelstor ist aufgetan,
Alt‘ und Junge sollen nun
Von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
Und morgen flieg ich hinab zur Erden,
Denn es soll wieder Weihnachten werden!«
Ich sprach: »O lieber Herre Christ,
Meine Reise fast zu Ende ist;
Ich soll nur noch in diese Stadt,
Wo’s eitel gute Kinder hat.«
– »Hast denn das Säcklein auch bei dir?«
Ich sprach: »Das Säcklein, das ist hier:
Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern
Essen fromme Kinder gern.«
– »Hast denn die Rute auch bei dir?«
Ich sprach: »Die Rute, die ist hier;
Doch für die Kinder nur, die schlechten,
Die trifft sie auf den Teil, den rechten.«
Christkindlein sprach: »So ist es recht;
So geh mit Gott, mein treuer Knecht!«

Von drauß‘ vom Walde komm ich her;
Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!
Nun sprecht, wie ich’s hierinnen find!
Sind’s gute Kind, sind’s böse Kind?

Vater:

Die Kinder sind wohl alle gut,
Haben nur mitunter was trotzigen Mut.

Ruprecht:

Ei, ei, für trotzgen Kindermut
Ist meine lange Rute gut!
Heißt es bei euch denn nicht mitunter:
Nieder den Kopf und die Hosen herunter?

Vater:

Wie einer sündigt, so wird er gestraft;
Die Kinder sind schon alle brav.

Ruprecht:

Stecken sie die Nas auch tüchtig ins Buch,
Lesen und schreiben und rechnen genug?

Vater:

Sie lernen mit ihrer kleinen Kraft,
Wir hoffen zu Gott, daß es endlich schafft.

Ruprecht:

Beten sie denn nach altem Brauch
Im Bett ihr Abendsprüchlein auch?

Vater:

Neulich hört ich im Kämmerlein
Eine kleine Stimme sprechen allein;
Und als ich an die Tür getreten,
Für alle Lieben hört ich sie beten.

Ruprecht:

So nehmet denn Christkindleins Gruß,
Kuchen und Äpfel, Äpfel und Nuß;
Probiert einmal von seinen Gaben,
Morgen sollt ihr was Besseres haben.
Dann kommt mit seinem Kerzenschein
Christkindlein selber zu euch herein.
Heut hält es noch am Himmel Wacht;
Nun schlafet sanft, habt gute Nacht.

Der Weihnachtsteller – 4. Dezember

Plätzchenteller

Da ich gerade am Plätzchenbacken bin:

Der Weihnachtsteller
Barbara Pronnet

Als ich zusammen mit meinen gleichaussehenden Kollegen in den bunten Weihnachtsteller gelegt wurde, war mir schnell klar, jetzt heißt es warten und reifen bis zum Fest. Ich roch herrlich nach Butter und Rum und meine Zuckerglasur stand mir besonders gut. „He“ rief ein dicker Marzipankartoffel neben mir „mach dich nicht so breit.“ „Du mußt reden“, beschwerte sich eine herrlich aussehende Kokosmakrone rechts von mir, „du machst dich doch breit wie ein fetter Christstollen“. Sie lächelte mir freundlich zu und ich strahlte zurück. Was wäre wohl, träumte ich, wenn wir unsere Zutaten zusammenmischten? Es käme bestimmt etwas besonders süßes heraus.

Ich sah mich um. Ein bischen eng wars schon auf diesem bunten Teller, aber die Farbenpracht und der Geruch waren einmalig. Ich freute mich schon auf den großen Tag. Wenn eine kleine Kinderhand nach mir greift und mich genußvoll verschlang. Das ist eben für uns Plätzchen die Krönung. Meine nette Kokosmakrone neben mir war eingeschlafen. Ihr zarter Duft machte mich ganz schwindelig.

„Bist du neu hier“? Ich äugte nach links oben von wo diese tiefe Stimme kam und schaute auf den wohl bestgelungensten Gewürzlebkuchen aller Zeiten. Er trotze nur so vor Korinten, Rosinen und Schokostückchen.
„Ja, ich bin noch ganz warm“ sagte ich. „Du siehst sehr appetitlich aus, so rund und saftig“ lobte er mich. „Danke, aber nichts gegen dich. Du bist fantastsich.“ Der Lebkuchen räkelte sich richtig unter meinem Kompliment. „Stimmt ich bin wirklich gut gelungen. Die Hausherrin probierte ein neues Rezept. Sie hat sich sehr viel Mühe gegeben“. „Ach Papperlapapp“ schimpfte der dicke Marzipankartoffel auf ein Neues, „Ihr mit eurem Geschwätz. Spätestens bis zum 2. Weihnachtsfeiertag werdet ihr einfach in volle Bäuche gestopft und keiner wird sich mehr an eure Aussehen erinnern, oder an eurem Geruch. Ihr seid eingebildete Narren.“ „Vielleicht hast Du recht“, pflichtete ich ihm bei, „aber unsere Aufgabe ist es nun mal gut auszusehen und zu schmecken.“ „Wenn du so weiter meckerst“, lachte ein Butterplätzchen schräg oben von uns, „wird dich keiner mehr vernaschen, weil du nämlich bis dahin sauer geworden bist.“ Wir lachten alle schallend und der Marzipankartoffel wurde ganz dunkelbraun vor Wut. Meine süße Kokosmakrone war aufgewacht und hatte uns eine Weile wortlos zugehört. „Versteht Ihr denn den Sinn dieses Festes überhaupt nicht? Es geht doch nicht darum, wer am besten gelungen ist , die schönste Farbe hat und am leckersten schmeckt. Oder wer den besten Platz im runden Teller hat. Wichtig ist nur, daß wir alle wie wir hier liegen, Freude bereiten und dazubeitragen, daß es ein gelungenens und frohes Fest wird.

Und wenn wir uns bis dahin alle vertragen werden sich unsere Aromen vermischen und wir alle werden unvergesslich schmecken. „

Es wurde sehr still im buntgemischten Weihnachtsteller. Der Marzipankartoffel rutschte noch ein bischen weiter nach unten, aber er sagte nichts mehr. Die anderen nickten zustimmend.

Ich schaute stolz auf meine kleine Kokosmakrone,denn was sie gerade sagte ist das beste Rezept was je geschrieben wurde.

Begegnung auf dem Weihnachtsmarkt – 3. Dezember


Begegnung auf dem Weihnachtsmarkt
© Elke Bräunling

Tim und Papa wollen heute auf dem Weihnachtsmarkt einen Christbaum kaufen. Während Papa prüfend einen Baum nach dem anderen in die Hand nimmt, geht Tim auf Entdeckungsreise. Vom Karussell her klingt das Lied vom Tannenbaum zu ihnen herüber. „O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter…“, singt auch Tim, während er zwischen den Weihnachtsbäumen, die mit einer zarten Raureifschicht geschmückt sind, herumschlendert. „Oh Weihnachtsbaum, oh Weihnachtstraum, im Wald war es viel netter…“, singt es da plötzlich von einer kleinen Tanne, dann fiept eine dünne Stimme: „Jajaja. Netter! Im Wald war es viel netter. Jaja.“ Die Tanne schüttelt sich, und kleine Raureifsternchen schweben auf Tims Kopf. Tim schaut sich verwundert um. Wer hat da gesungen? Er kann niemanden sehen. Hier gibt es nur Tannen: große und kleine, breite und schmale, dicke und dünne, gerade gewachsene und krumme. „Komisch“, murmelt Tim. „Sie können sprechen, die Tannen, und singen. Wirklich komisch.“ „Singen, sprechen, lachen, weinen, das kann eine Tanne nicht. Sieh dich um, rundumherum, und dann weißt du, wer hier spricht!“, singt da die Stimme wieder. „Wo bist du?“, ruft Tim läuft um die Tanne herum. Und da, auf einmal, sieht er die kleine rote Christbaumkugel. „Du bist das?“ Die Christbaumkugel schaukelt am Tannenzweig hin und her und fiept: „Ich bin´s, jaja. Sprechen kann ich und noch mehr.“ „Was denn?“, will Tim fragen, doch da fängt die Christbaumkugel wieder an zu singen. Sie singt und singt, ihre Stimme wird immer heller, und auf einmal ist sie nicht mehr rot. Glashell blinkert sie und so durchsichtig, dass Tim in sie hineinsehen kann. „Toll“, ruft er, „da ist ja ein kleiner Weihnachtsbaum in der Kugel!“ Überrascht betrachtet Tim den kleinen Weihnachtsbaum im Inneren der Christbaumkugel. Hübsch ist er mit Strohsternen, Äpfeln und roten Kerzen. „Hallo“, sagt der Weihnachtsbaum und verbeugt sich. „Gefalle ich dir? Kinder haben mich geschmückt. Sehr gefreut haben sie sich. Wegen mir. Und weil bald Heiligabend ist.“ Er winkt mit seinen Zweigen und verschwindet. Eine hohe Tanne erscheint nun in der Glaskugel. Sie steht auf einem Marktplatz und ist über und über mit Lichtern geschmückt. Die strahlen so hell, dass der Platz festlich erleuchtet ist. „Über mich“, erzählt die Lichtertanne stolz, „freuen sich viele Menschen. Jeder, der hier vorbeikommt, bleibt eine Weile bei mir stehen. Vor allem die Kinder. Das ist schön.“ Die Lichtertanne blinkt zum Abschied hell auf, und weg ist sie. Ein mit Lametta, pinkfarbenen Kugeln und Perlenketten verzierter Baum stellt sich nun vor. Ihm folgen viele andere Weihnachtsbäume, und jeder erzählt seine Geschichte. Es sind unterschiedliche Geschichten: lustige und spannende ,feierliche und fremdartige, fröhliche und auch traurige. Tim sieht nämlich auch Bäume, die gar nicht weihnachtlich aussehen. Vergessen und verdorrt liegen sie in dunklen Ecken. Hier und da blitzt noch ein Silberfaden oder ein Strohstern zwischen vertrockneten Zweigen hervor. „Zu dumm, dass niemand mehr die Bäume nach Weihnachten gebrauchen kann und dass sie sterben müssen“, brummt Tim. „Recht, recht“, sagt die kleine Glaskugel, die nun wieder in ihrer roten Farbe leuchtet. Sie schaukelt am Tannenast sacht hin und her und singt von neuem: „O Tannenbaum, o Tannentraum, erhaltet unsre Blätter, ein Baum will leben allezeit, nicht nur so kurz zur Weihnachtszeit. O Tannenbaum, o Tannentraum, grün bleiben unsre Blätter…“ „Du hast Recht, kleine Christbaumkugel“, ruft Tim wie erwachend. „Das werd´ ich gleich Papa sagen. Einen Baum mit Wurzeln soll er kaufen! Den können wir nach Weihnachten im Garten einpflanzen.“ Er will der Kugel zum Abschied zuwinken, doch die ist verschwunden. so sehr Tim auch schaut. „Schade“, murmelt er. „Und auch komisch, oder?“ Tim schüttelt sich wie nach einem Traum und läuft zu Papa hinüber.

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

Der Apfent – 2. Dezember

Der Apfent – Eine kleine Weihnachtsgeschichte
Toni Lauerer

Der Apfent ist die schönste Zeit vom Winter.
Die meisten Leute haben im Winter eine Grippe. Die ist mit Fieber.
Wir haben auch eine, aber die ist mit Beleuchtung und man schreibt sie mit K.

Drei Wochen bevor das Christkindl kommt stellt Papa die Krippe im Wohnzimmer auf und meine kleine Schwester und ich dürfen mithelfen.

Viele Krippen sind langweilig, aber die unsere nicht, weil wir haben mords tolle Figuren drin. Ich habe einmal den Josef und das Christkindl auf den Ofen gestellt damit sie es schön warm haben und es war ihnen zu heiß. Das Christkindl ist schwarz geworden und den Josef hat es auf lauter Trümmer zerrissen. Ein Fuß von ihm ist bis in den Platzlteig geflogen und es war kein schöner Anblick. Meine Mama hat mich geschimpft und gesagt, dass nicht einmal die Heiligen vor meiner Blödheit sicher sind.
Wenn Maria ohne Mann und ohne Kind herumsteht, schaut es nicht gut aus. Aber ich habe gottseidank viele Figuren in meiner Spielzeugkiste und der Josef ist jetzt der Donald Duck. Als Christkindl wollte ich den Asterix nehmen, weil der ist als einziger so klein, dass er in den Futtertrog gepasst hätte. Da hat meine Mama gesagt, man kann doch als Christkindl keinen Asterix hernehmen, da ist ja das verbrannte Christkindl noch besser. Es ist zwar schwarz, aber immerhin ein Christkindl.
Hinter dem Christkindl stehen zwei Oxen, ein Esel, ein Nilpferd und ein Brontosaurier. Das Nilpferd und den Brontosaurier habe ich hineingestellt, weil der Ox und der Esel waren zu langweilig.

Links neben dem Stall kommen gerade die heiligen drei Könige daher.

Ein König ist dem Papa im letzten Apfent beim Putzen heruntergefallen und war dodal hin. Jetzt haben wir nur mehr zwei heilige Könige und einen heiligen Batman als Ersatz.
Normal haben die heiligen drei Könige einen Haufen Zeug für das Christkindl dabei, nämlich Gold, Weihrauch und Pürree oder so ähnlich.

Von den unseren hat einer anstatt Gold ein Kaugummipapierl dabei, das glänzt auch schön. Der andere hat eine Marlboro in der Hand, weil wie keinen Weihrauch haben. Aber die Marlboro raucht auch schön wenn man sie anzündet. Der heilige Batman hat eine Pistole dabei. Das ist zwar kein Geschenk für das Christkindl, aber damit kann er es vor dem Saurier beschützen.
Hinter den drei Heiligen sind ein paar rothäutige Indianer und ein kasiger Engel. Dem Engel ist ein Fuß abgebrochen, darum haben wir ihn auf ein Motorrad gesetzt, damit er sich leichter tut. Mit dem Motorrad kann er fahren, wenn er nicht gerade fliegt.

Rechts neben dem Stall haben wir ein Rotkäppchen hingestellt. Sie hat eine Pizza und drei Weizen für die Oma dabei. Einen Wolf haben wir nicht, darum lurt hinter dem Baum ein Bummerl als Ersatzwolf hervor.

Mehr steht in unserer Krippe nicht, aber das reicht voll. Am Abend schalten wir die Lampen an und dann ist unsere Krippe erst so richtig schön. Wir sitzen herum und singen Lieder vom Apfent. Manche gefallen mir aber die meisten sind mir zu lusert.
Mein Opa hat mir ein Gedicht vom Apfent gelernt und das geht so:
„Apfent, Apfent, der Bärwurz(Schnaps) brennt. Erst trinkst oan, dann zwoa, drei, vier, dann hauts de mit deim Hirn an d`Tür.“ Obwohl dieses Gedicht recht schön ist, hat die Mama gesagt, dass ich mir es nicht merken darf.

Im Apfent wird auch gebastelt. Wir haben eine große Schüssel voll Nüsse und eine kleine mit Goldstaub. Darin wälzen wir die Nüsse bis sie golden sind, das Christkindl hängt sie später an den Christbaum. Man darf nicht fest schnaufen weil der Goldstaub ist dodal leicht und fliegt herum, wenn man hinschnauft. Einmal habe ich vorher in den Goldstaub ein Niespulver hineingetan und wie mein Vater die erste Nuss darin gewälzt hat, tat er einen Nieserer, dass es ihn gerissen hat und sein Gesicht war goldern und die Nuss nicht. Mama hat ihn geschimpft, weil er keine Beherrschung hat und sie hat gesagt, er stellt sich dümmer an als ein Kind. Meinem Vater war es recht zuwider und er hat nicht mehr mitgetan. Er hat gesagt, dass mit dem Goldstaub irgendetwas nicht stimmt, und Mama hat gesagt, dass höchstens bei ihm etwas nicht stimmt. Ich habe mich sehr gefreut, weil es war insgesamt ein lustiger Apfentsabend.

Kurz vor Weihnachten müssen wir unser Wunschzettel schreiben. Meine Schwester wünscht sich meistens Puppen oder sonst ein Klump. Ich schreibe vorsichtshalber mehr Sachen auf und zum Schluss schreibe ich dem Christkindl, es soll einfach soviel kaufen bis das Geld ausgeht. Meine Mama sagt, das ist eine Unverschämtheit und irgendwann bringt mir das Christkindl gar nichts mehr, weil ich nicht bescheiden bin. Aber bis jetzt habe ich immer etwas gekriegt. Wenn ich groß bin und ein Geld verdiene, dann kaufe ich mir selber etwas und bin überhaupt nicht bescheiden. Dann kann sich das Christkindl von mir aus ärgern, weil dann ist es mir wurscht.

Bis man schaut ist der Apfent vorbei und Weihnachten auch und mit dem Jahr geht es dahin. Die Geschenke sind ausgepackt und man kriegt bis Ostern nichts mehr, höchstens, wenn man vorher Geburtstag hat.

Aber eins ist gwies: der Apfent kommt wieder.

Als die kleine Schneeflocke ‚leise rieselte‘ – 1. Dezember

Als die kleine Schneeflocke ‚leise rieselte’

Lange hat die kleine Schneeflocke gewartet. Heute endlich wollte sie auch auf die Erde hinab wirbeln.
„Du musst noch warten“, sagte die Wolke. „In der Stadt unter uns ist es zu warm für dich.“
„Stimmt nicht! Ich höre Musik und ich höre Gesang: ‚Leise rieselt der Schnee’. Hörst du? Also werde ich nun leise rieseln.“
Schnell machte sich die kleine Schneeflocke auf den Weg, den bunten Lichtern und liebliche Melodien entgegen.
„Leise riesle ich heut vom Himmel hin zu den Leut’ …“ sang sie.
Fröhlich wirbelte sie durch die Luft, wiegte sich im Wind, tanzte mit einem Blatt.
Schließlich landete sie mitten auf einer dicken Nase. Sie gehörte zu dem Weihnachtsmann, der vor dem Kaufhaus stand und gerade gegen einen Niesreiz ankämpfte.
Auf und ab hüpfte die kleine Schneeflocke auf des Weihnachtsmannes Nase. Und warm war ihr. Sehr warm.
„Eine komische Welt ist das.“ Vor Aufregung begann sie zu schwitzen. Ihre Kristallarme wurden schwer und sie fühlte sich auf einmal so nass… ss… sss…
Schon hatte sich die übermütige Schneeflocke in einen Wassertropfen verwandelt und der tropfte von der Weihnachtsmannnase auf die Straße.
Die Schneeflocke war traurig. Sie ärgerte sich auch.
„Ich komme wieder“, rief sie und es schien fast, als drohte sie mit den Fäusten. „Ihr werdet es schon sehen!“
© Elke Bräunling

Der allererste Weihnachtsbaum – 30. November

Der gl?ckliche kleine Vogel

Audio-Datei

Video

Der allererste Weihnachtsbaum
Hermann Löns

Der Weihnachtsmann ging durch den Wald. Er war ärgerlich. Sein weißer Spitz, der sonst immer lustig bellend vor ihm herlief, merkte das und schlich hinter seinem Herrn mit eingezogener Rute her.

Er hatte nämlich nicht mehr die rechte Freude an seiner Tätigkeit. Es war alle Jahre dasselbe. Es war kein Schwung in der Sache. Spielzeug und Eßwaren, das war auf die Dauer nichts. Die Kinder freuten sich wohl darüber, aber quieken sollten sie und jubeln und singen, so wollte er es, das taten sie aber nur selten.

Den ganzen Dezembermonat hatte der Weihnachtsmann schon darüber nachgegrübelt, was er wohl Neues erfinden könne, um einmal wieder eine rechte Weihnachtsfreude in die Kinderwelt zu bringen, eine Weihnachtsfreude, an der auch die Großen teilnehmen würden. Kostbarkeiten durften es auch nicht sein, denn er hatte soundsoviel auszugeben und mehr nicht.

So stapfte er denn auch durch den verschneiten Wald, bis er auf dem Kreuzweg war. Dort wollte er das Christkindchen treffen. Mit dem beriet er sich nämlich immer über die Verteilung der Gaben.

Schon von weitem sah er, daß das Christkindchen da war, denn ein heller Schein war dort. Das Christkindchen hatte ein langes weißes Pelzkleidchen an und lachte über das ganze Gesicht. Denn um es herum lagen große Bündel Kleeheu und Bohnenstiegen und Espen- und Weidenzweige, und daran taten sich die hungrigen Hirsche und Rehe und Hasen gütlich. Sogar für die Sauen gab es etwas: Kastanien, Eicheln und Rüben.

Der Weihnachtsmann nahm seinen Wolkenschieber ab und bot dem Christkindchen die Tageszeit. „Na, Alterchen, wie geht’s?“ fragte das Christkind. „Hast wohl schlechte Laune?“ Damit hakte es den Alten unter und ging mit ihm. Hinter ihnen trabte der kleine Spitz, aber er sah gar nicht mehr betrübt aus und hielt seinen Schwanz kühn in die Luft.

„Ja“, sagte der Weihnachtsmann, „die ganze Sache macht mir so recht keinen Spaß mehr. Liegt es am Alter oder an sonst was, ich weiß nicht. Das mit den Pfefferkuchen und den Äpfeln und Nüssen, das ist nichts mehr. Das essen sie auf, und dann ist das Fest vorbei. Man müßte etwas Neues erfinden, etwas, das nicht zum Essen und nicht zum Spielen ist, aber wobei alt und jung singt und lacht und fröhlich wird.“

Das Christkindchen nickte und machte ein nachdenkliches Gesicht; dann sagte es: „Da hast du recht, Alter, mir ist das auch schon aufgefallen. Ich habe daran auch schon gedacht, aber das ist nicht so leicht.“

„Das ist es ja gerade“, knurrte der Weihnachtsmann, „ich bin zu alt und zu dumm dazu. Ich habe schon richtiges Kopfweh vom vielen Nachdenken, und es fällt mir doch nichts Vernünftiges ein. Wenn es so weitergeht, schläft allmählich die ganze Sache ein, und es wird ein Fest wie alle anderen, von dem die Menschen dann weiter nichts haben als Faulenzen, Essen und Trinken.“

Nachdenklich gingen beide durch den weißen Winterwald, der Weihnachtsmann mit brummigem, das Christkindchen mit nachdenklichem Gesicht. Es war so still im Wald, kein Zweig rührte sich, nur wenn die Eule sich auf einen Ast setzte, fiel ein Stück Schneebehang mit halblautem Ton herab. So kamen die beiden, den Spitz hinter sich, aus dem hohen Holz auf einen alten Kahlschlag, auf dem große und kleine Tannen standen. Das sah wunderschön aus. Der Mond schien hell und klar, alle Sterne leuchteten, der Schnee sah aus wie Silber, und die Tannen standen darin, schwarz und weiß, daß es eine Pracht war. Eine fünf Fuß hohe Tanne, die allein im Vordergrund stand, sah besonders reizend aus. Sie war regelmäßig gewachsen, hatte auf jedem Zweig einen Schneestreifen, an den Zweigspitzen kleine Eiszapfen, und glitzerte und flimmerte nur so im Mondenschein.

Das Christkindchen ließ den Arm des Weihnachtsmannes los, stieß den Alten an, zeigte auf die Tanne und sagte: „Ist das nicht wunderhübsch?“

„Ja“, sagte der Alte, „aber was hilft mir das ?“

„Gib ein paar Äpfel her“, sagte das Christkindchen, „ich habe einen Gedanken.“

Der Weihnachtsmann machte ein dummes Gesicht, denn er konnte es sich nicht recht vorstellen, daß das Christkind bei der Kälte Appetit auf die eiskalten Äpfel hatte. Er hatte zwar noch einen guten alten Schnaps, aber den mochte er dem Christkindchen nicht anbieten.

Er machte sein Tragband ab, stellte seine riesige Kiepe in den Schnee, kramte darin herum und langte ein paar recht schöne Äpfel heraus. Dann faßte er in die Tasche, holte sein Messer heraus, wetzte es an einem Buchenstamm und reichte es dem Christkindchen.

„Sieh, wie schlau du bist“, sagte das Christkindchen. „Nun schneid mal etwas Bindfaden in zwei Finger lange Stücke, und mach mir kleine Pflöckchen.“

Dem Alten kam das alles etwas ulkig vor, aber er sagte nichts und tat, was das Christkind ihm sagte. Als er die Bindfadenenden und die Pflöckchen fertig hatte, nahm das Christkind einen Apfel, steckte ein Pflöckchen hinein, band den Faden daran und hängte den an einen Ast.

„So“, sagte es dann, „nun müssen auch an die anderen welche, und dabei kannst du helfen, aber vorsichtig, daß kein Schnee abfällt!“

Der Alte half, obgleich er nicht wußte, warum. Aber es machte ihm schließlich Spaß, und als die ganze kleine Tanne voll von rotbäckigen Äpfeln hing, da trat er fünf Schritte zurück, lachte und sagte; „Kiek, wie niedlich das aussieht! Aber was hat das alles für’n Zweck?“

„Braucht denn alles gleich einen Zweck zu haben?“ lachte das Christkind. „Paß auf, das wird noch schöner. Nun gib mal Nüsse her!“

Der Alte krabbelte aus seiner Kiepe Walnüsse heraus und gab sie dem Christkindchen. Das steckte in jedes ein Hölzchen, machte einen Faden daran, rieb immer eine Nuß an der goldenen Oberseite seiner Flügel, dann war die Nuß golden, und die nächste an der silbernen Unterseite seiner Flügel, dann hatte es eine silberne Nuß und hängte sie zwischen die Äpfel.

„Was sagst nun, Alterchen?“ fragte es dann. „Ist das nicht allerliebst?“

„Ja“, sagte der, „aber ich weiß immer noch nicht…“

„Komm schon!“ lachte das Christkindchen. „Hast du Lichter?“

„Lichter nicht“, meinte der Weihnachtsmann, „aber ’nen Wachsstock!“

„Das ist fein“, sagte das Christkind, nahm den Wachsstock, zerschnitt ihn und drehte erst ein Stück um den Mitteltrieb des Bäumchens und die anderen Stücke um die Zweigenden, bog sie hübsch gerade und sagte dann; „Feuerzeug hast du doch?“

„Gewiß“, sagte der Alte, holte Stein, Stahl und Schwammdose heraus, pinkte Feuer aus dem Stein, ließ den Zunder in der Schwammdose zum Glimmen kommen und steckte daran ein paar Schwefelspäne an. Die gab er dem Christkindchen. Das nahm einen hellbrennenden Schwefelspan und steckte damit erst das oberste Licht an, dann das nächste davon rechts, dann das gegenüberliegende. Und rund um das Bäumchen gehend, brachte es so ein Licht nach dem andern zum Brennen.

Da stand nun das Bäumchen im Schnee; aus seinem halbverschneiten, dunklen Gezweig sahen die roten Backen der Äpfel, die Gold- und Silbernüsse blitzten und funkelten, und die gelben Wachskerzen brannten feierlich. Das Christkindchen lachte über das ganze rosige Gesicht und patschte in die Hände, der alte Weihnachtsmann sah gar nicht mehr so brummig aus, und der kleine Spitz sprang hin und her und bellte.

Als die Lichter ein wenig heruntergebrannt waren, wehte das Christkindchen mit seinen goldsilbernen Flügeln, und da gingen die Lichter aus. Es sagte dem Weihnachtsmann, er solle das Bäumchen vorsichtig absägen. Das tat der, und dann gingen beide den Berg hinab und nahmen das bunte Bäumchen mit.

Als sie in den Ort kamen, schlief schon alles. Beim kleinsten Hause machten die beiden halt. Das Christkindchen machte leise die Tür auf und trat ein; der Weihnachtsmann ging hinterher. In der Stube stand ein dreibeiniger Schemel mit einer durchlochten Platte. Den stellten sie auf den Tisch und steckten den Baum hinein. Der Weihnachtsmann legte dann noch allerlei schöne Dinge, Spielzeug, Kuchen, Äpfel und Nüsse unter den Baum, und dann verließen beide das Haus so leise, wie sie es betreten hatten.

Als der Mann, dem das Häuschen gehörte, am andern Morgen erwachte und den bunten Baum sah, da staunte er und wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Als er aber an dem Türpfosten, den des Christkinds Flügel gestreift hatte, Gold- und Silberflimmer hängen sah, da wußte er Bescheid. Er steckte die Lichter an dem Bäumchen an und weckte Frau und Kinder. Das war eine Freude in dem kleinen Haus wie an keinem Weihnachtstag. Keines von den Kindern sah nach dem Spielzeug, nach dem Kuchen und den Äpfeln, sie sahen nur alle nach dem Lichterbaum. Sie faßten sich an den Händen, tanzten um den Baum und sangen alle Weihnachtslieder, die sie wußten, und selbst das Kleinste, das noch auf dem Arm getragen wurde, krähte, was es krähen konnte.

Als es hellichter Tag geworden war, da kamen die Freunde und Verwandten des Bergmanns, sahen sich das Bäumchen an, freuten sich darüber und gingen gleich in den Wald, um sich für ihre Kinder auch ein Weihnachtsbäumchen zu holen. Die anderen Leute, die das sahen, machten es nach, jeder holte sich einen Tannenbaum und putzte ihn an, der eine so, der andere so, aber Lichter, Äpfel und Nüsse hängten sie alle daran.

Als es dann Abend wurde, brannte im ganzen Dorf Haus bei Haus ein Weihnachtsbaum, überall hörte man Weihnachtslieder und das Jubeln und Lachen der Kinder.

Von da aus ist der Weihnachtsbaum über ganz Deutschland gewandert und von da über die ganze Erde. Weil aber der erste Weihnachtsbaum am Morgen brannte, so wird in manchen Gegenden den Kindern morgens beschert.

Kristanella und das Wintergewitter – 29. November

Kristanella und das Wintergewitter

von Elke Bräunling

Der Schneekönig ist ein glücklicher König. Zwölf Töchter und zwölf Söhne hat er. Das sind die Schneeprinzessinnen und Schneeprinzen. Der Schneekönig liebt seine Kinder über alles, und manchmal verwöhnt er sie ein bisschen zu sehr.
„Lieber zu viel als zu wenig“, sagt er dann und lacht. „Ich habe sie doch so lieb, meine kleinen Prinzessinnen und Prinzen!“
Sein Lieblingskind aber ist seine jüngste Tochter, die Schneeprinzessin Kristanella. Er verwöhnt sie auch am meisten. „Sie ist noch so klein“, sagt er und nimmt Kristanella in seine Eisarme. „Und wie schön sie ist! Glitzerfunkelschön.“
Ja, der Schneekönig ist sehr stolz auf seine schöne, jüngste Tochter.
Einmal aber, vor vielen Jahren, war er gar nicht stolz auf sie, sondern sehr wütend. Es war das Jahr, in dem Kristanella zur rechten Schneeprinzessin werden und zum ersten Mal auf die Erde reisen sollte.
Die Kinder des Schneekönigs müssen nämlich auch arbeiten. Im Winter, wenn die Schneeflocken ihren Weg auf die Erde suchen. Da sind sie es, die den Flockengeistern den weiten Weg zur Erde zeigen und sie in Städte und Dörfer, auf Wiesen und Felder, in Täler, Wälder und auf Berge führen. Das ist ein hartes Stück Arbeit, und die Schneeprinzessinnen und Schneeprinzen haben viel zu tun. Nur Kristanella hatte lange Zeit keine Lust, mit ihrer Arbeit zu beginnen. Sie tanzte lieber mit den Flockengeistern über den Schneewolkenhimmel und sang mit kristallheller Stimme ihre Lieder.
„Lasst sie doch“, hatte der Schneekönig gesagt, wenn sich die Geschwister über Kristanella beschwerten. „Sie ist noch so jung. Und ihre Stimme! Ach, wie ich ihre Stimme liebe!“
„Aber sie ist faul“, riefen die Geschwister empört.
„Im nächsten Jahr wird sie mit ihrer Arbeit beginnen“, versprach der Schneekönig.
Das versprach er jedes Jahr, aber dann brachte er es doch nicht übers Herz, Kristanella zur Erde hinunter zu schicken.
Eines Tages aber war es soweit. „Dieses Jahr musst du auch arbeiten“, sagte er mit strenger Stimme zu Kristanella. „Es ist an der Zeit, dass eine rechte Schneeprinzessin aus dir wird.“
„Aber ich bin doch eine rechte Schneeprinzessin“, maulte Kristanella. „Ich möchte lieber mit meinen Flockengeistern über den Himmel toben. Das macht so viel Spaß! Ach, bitte, Vater. Lasst mich bleiben.“
Kristanella schmeichelte und schmeichelte, doch dieses Mal blieb der Schneekönig hart.
Er zeigte auf ein kleines Land mit hohen Bergen und weiten Wiesen. „Dort unten liegt dein Schneeland. Ich wünsche, dass es in diesem Winter prächtig weiß und tief verschneit ist.“
„Aber, ich …“, begann Kristanella, doch der Schneekönig ließ sie nicht aussprechen.
„Du gehst zur Erde und tust deine Pflicht. Basta!“ Und er schickte besonders viele Flockengeister mit den schönsten Schneeflocken und Eiskristallen zu Kristanella.
Die aber war wütend. „Keines meiner Flockengeister werde ich den Erdbewohnern schenken. Sie gehören mir ganz alleine.“ Sie lachte hell auf und tanzte mit ihren Flockengeistern über den Schneewolken. Sie tanzte und lachte und sang und freute sich. Schön war das Leben!
Der Schneekönig aber war wütend. Frostklirrewütend. Wenn er auf das kleine Land mit den welken Wiesen und kahlen Felsbergen sah, packte ihn der Ärger. Wo blieb Kristanella mit ihren Flockengeistern? Wo blieb der Schnee?
Das fragten sich auch die Kinder in dem kleinen Land.
„Warum schneit es dieses Jahr nicht?“, riefen sie traurig. „Wo bleibt der Schnee?“
Kristanella aber machte nur eine lange Nase, lachte, sang ihre Lieder und tanzte über den Himmel.
„Kristanella!“, rief der Schneekönig. „Tu deine Pflicht!“
„Pflicht? Hihihiiiii …“, gab Kristanella zur Antwort.
„Hihihiiiii ….“, kicherten auch die Flockengeister. „Schneien, hihi, das tun wir nie-ie-ie!“
Da brüllte der Schneekönig auf einmal los. So donnernd und laut, wie er noch nie in seinem Leben gebrüllt hatte. Der ganze Himmel zuckte zusammen, die Wolken bäumten sich auf und Blitze fuhren zischend zur Erde herab. Es donnerte und blitzte und dröhnte. Und der Schneekönig brüllte mit dröhnender Stimme:
„Kri-sta-nel-la! Kri-sta-nel-la! Auf zur Erde, dass es werde hell und heller, schneeweiß klar. Kri-sta-nel-la! Kri-sta-nel-la! Auf die Reise! Sei so weise, schnell und schneller, bist du da!“
Ein besonders heller Blitz zuckte auf, und Kristanella sah in seinem Licht das wütende Gesicht ihres Vaters. So wütend hatte sie ihn noch nie gesehen.
„Er scheint böse zu sein“, wisperte sie erschrocken.
Angst hatten auch die Menschen auf der Erde.
„Ein Wintergewitter“, sagten die Erwachsenen.
„Vielleicht schneit es endlich“, hofften die Kinder und klammerten sich ängstlich an ihre Eltern.
Auch Kristanella hatte auf einmal genauso viel Angst wie die Kinder und sie rief eilig ihre Flockengeister herbei. „Auf, auf, lasst uns zur Erde ziehen!“
Und schon wirbelten die ersten Schneeflocken vom Himmel.
„Es schneit!“, riefen die Kinder. „Juchhu! Es schneit!“ Und fröhlich rannten sie in das Schneeflockengestöber hinaus.
Zufrieden sah der Schneekönig zur Erde hinab.
„Na also“, brummte er, und es klang wie ein leises, fernes Donnergrollen. „Wozu ein Gewitter doch manchmal gut ist.“ Er lächelte und zog sich auf seinen Thron zurück.
Kristanella aber lächelte nicht. Traurig nahm sie von ihren Flockengeistern Abschied.
Als sie aber sah, wie sich die Kinder über ihren Schnee freuten, war sie getröstet. Und, ehrlich, schön sah das kleine Land im weißen Schneekleid aus. Stolz begutachtete Kristanella ihr Werk. Und hatten nicht die Flockengeister zum Abschied „Wir-sehen-uns-im-nächsten-Winter-wieder?“, gerufen? Wenn das stimmte …!?
Kristanella war nicht länger traurig. Fröhlich blickte sie über das kleine Schneeland und sang mit heller, kristallklarer Stimme: „Im nächsten Winter sehn wir uns wieder, ihr Flockengeister, und ich singe euch Lieder …“
Sie sang und sang, ja, und das tut sie seither jeden Winter.
Man kann sie hören, manchmal, an einem besonders hellen Wintertag, wenn die Sonne scheint und Schneesterne funkeln. Psst! Leise! Ohren spitzen!